Wie wollen wir leben?

Das Wesen des Einkaufszentrums: eine andernorts bereits bestehende Stadtstruktur wird im Inneren simuliert und in der Folge konsequent ersetzt.

Publiziert im Online-Magazin Salto: Wie wollen wir leben?

Die Diskussion über das Kaufhaus in Bozen hat mit der öffentlichen Bürger-Debatte in der EURAC ihren Höhepunkt erreicht. Trotz der doch zahlreichen Besucher und einer Video-Aufzeichnung der Vorträge sollte die Auseinandersetzung mit Einkaufszentren nicht abbrechen, denn sie ist aktueller denn je, nicht nur in Südtirol, sondern in ganz Europa. Nachfolgend einige grundsätzliche Gedanken zu diesem Typus, die bereits bei der Debatte am 23.01.2015 vorgestellt wurden.

Was ist eigentlich ein Kaufhaus? Ein Kaufhaus ist im städtischen Leben einer Stadt verankert, weil es sich aus diesem heraus entwickelt, das Einkaufszentrum, um das wir hier eigentlich reden ist ein implantierter Körper. Es schafft sich eine eigene Welt innerhalb seiner Mauern, kapselt sich ab und genügt sich selbst. Anhand der Geschichte dieses Typus soll aufgezeigt werden, warum das so ist. Reden wir wirklich von einem normalen Kaufhaus oder doch eher von einem klassischen Einkaufszentrum?

Diese Geschichte beginnt mit der Geschichte der Zivilisation. Wir als Gesellschaft hatten immer schon Orte in der Stadt, wo der Handel sich konzentrierte. In Bozen ist dies der Obstplatz als zentraler Ort des Handels und Austausches. Überall gab und gibt es diese Orte. Im 18. Jahrhundert entstehen die ersten Passagen bzw. Galerien, die einen ganzjährig voll nutzbaren, jedoch halböffentlichen Raum generieren. Es waren die privaten Kaufleute, die neue, kürzere oder angenehmere Verbindungen innerhalb der Stadt bauen und diesen privaten Raum als Durchgang ausbilden ließen. Sie inszenierten diesen Weg bewusst als öffentlichen Raum.

Dabei entstand die Idee der Warenpräsentation, auf eine völlig andere Art und Weise wie zuvor. Anstatt hastig, feilschend und mit Zwang einkaufen zu gehen, konnten Menschen, die durch die Passage flanierten oder sie einfach als Abkürzung benutzten, die Waren nun in aller Ruhe begutachten. Die Passagen, waren ideale Räume zu flanieren, bummeln, verweilen oder einfach durchlaufen, in ihrer Grundfunktion waren sie immer transitorischer Natur. Sie waren also immer stark in das Stadtgefüge eingebunden.

Mit der aufkommenden Tendenz der Massenproduktion in der Mitte des 19. Jahrhunderts, lösten die Warenhäuser die Passagen ab. Sie waren dafür konzipiert, allen Gesellschaftsschichten möglichst viel und billige Waren zu Festpreisen anzubieten. Sie erfüllten ein aus einem gesellschaftlichen Wandel herauskommendes Bedürfnis nach demokratisch organisiertem Handel. Eine Passage konnte und wollte dies auch nicht leisten.

Aus anfangs monotonen Hallen wurden später vor allem in Paris und Berlin, aber auch in Amerika und Asien herrschaftliche und mit Absicht palastähnliche Mega-Warenhäuser entworfen und gebaut, die das Konsumverhalten unserer Gesellschaft grundlegend ändern sollten: Einkaufen wird plötzlich zur Freizeitbeschäftigung und wird ein fixer Bestandteil städtischen Lebens. Es ist die Zeit wo die Waren erstmals über alle Klassen hinweg einen ästhetischen Wert erlangen; sie beginnen die Identität und die eigene Bedeutung des Individuums widerzuspiegeln, anders gesagt: wer shoppt der ist jemand, und das bereits in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am Höhepunkt ihrer Zeit waren die Warenhäuser, mittlerweile werden sie auch Kaufhäuser genannt, die Knotenpunkte der Stadt.

Jedoch, auch die Kaufhäuser konnten sich mit ihrem ausladenden, schwerfälligen Charakter nicht bis heute halten. Sie lebten vom vor allem vom Fußvolk und der Anbindung durch öffentliche Nahverkehrsmittel. Mit der aufkommenden Mobilisierung der Massen Anfang des 20. Jahrhunderts wanderte in den USA die reiche Mittel- und Oberschicht in die Außenbezirke von Städten ab. Die darauffolgende Zersiedelung ließ die Innenstädte zunehmend verwahrlosen und verarmen. Doch eine Idee von dem Begründer der heutigen Mall, Victor Gruen, war, ein wirtschaftlich optimiertes Stadtzentrum für die Bewohner der Vorstädte zu planen. Also das, was die europäische Stadt bereits hat, versuchte er auf Amerika zu übertragen: fußgängerfreundlich, mit sozialen und kulturellen Nutzungen, Bürger- und Bildungseinrichtungen und natürlich Geschäften. Das Ganze überdacht und klimatisiert, also wiederum ganzjährig nutzbar, optimiert eben.

Aus dieser eigentlich sinnvollen Idee entwickelte sich eine künstliche Welt des Konsums. Über die Jahrzehnte wurden daraus die uns bekannten Malls, die immer stärker versuchten, einen urbanen Mangel der amerikanischen Vorstädte in ihrem Inneren durch künstliche, halböffentliche Räume zu kompensieren. Das ist das Wesen eines Einkaufszentrums und einer der grundlegenden Unterschiede zu einem Kaufhaus. Das EKZ grenzt sich dann paradoxerweise nach außen hin ab und konstruiert in seinem Inneren einen künstlichen, urbanen Raum, der so durchgeplant wird, dass Besucher möglichst lange dort verweilen. Im starken Gegensatz zu den Passagen und Kaufhäusern.

Diese Entwicklung macht auch vor Europa keinen Halt. Nur hier ist im Gegensatz zu den toten, suburbanen, flächigen Städten in Amerika, die kompakte mittelgroße Stadt die prägende Struktur. Während in den USA Malls teilweise sogar notwendig waren um deren Versorgung zu bewerkstelligen, waren die Städte Europas was ihre Versorgung anging prinzipiell intakt. Die in den 60er und 70er Jahren entstehenden Einkaufszentren hatten starken Einfluss auf die Entwicklung der europäischen Städte:

  • sie zogen die autoorientierten Kunden an, in der Zeit wo die individuelle Mobilität stark anstieg. Die Einkaufszentren begünstigten also maßgeblich die Autostadt.
  • die engen Gassen der teils mittelalterlichen Innenstädte sind äußerst schlecht für die Präsentation von internationalen Produkten und groß angelegten Marketingstrategien geeignet, da Sie zu eng und unübersichtlich sind. Das EKZ kann dies viel besser und so werden dort jene Waren ansiedeln, die von einer globalisierten Gesellschaft so begehrt werden.

Was diese EKZs in der Folge dann besonders gut umsetzt ist folgendes: Das Erlebnis „shoppen“, das seit den Passagen und Warenhäusern zum Ausdruck des Verlangens nach Erfüllung, Identität und Sichtbarkeit innerhalb der Gesellschaft geworden ist, setzen Sie perfekt um. Einkaufen als Erlebnis und als Selbstbestätigung hat einen derart großen Reiz auf uns als Gesellschaft, dass wir diesem komplett verfallen. Einkaufen wird endgültig zu einem Erlebnis erklärt und zur teilweise einzigen Freizeitbeschäftigung.

Links: Innenleben des Einkaufzentrums „Das Gerber“ in Stuttgart (Von Silesia711 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73826422)                                        Rechts: Der Obstplatz in Bozen (Von Rainerhaufe – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73290510)

Das ist die grundlegende Gefahr, die sich hinter Einkaufszentren verbirgt. Sie wird noch deutlicher, wenn man sich die Struktur von Center-Betreibern anschaut: ein zentrales Marketing plant und steuert die Außenwirkung und die Inszenierung, um das EKZ selbst bereits als Marke zu etablieren, es wird ein Image kreiert. Das Warenhaus oder eben das Kaufhaus hat sich hingegen selbst nur begrenzt vermarktet, es hat hauptsächlich die Waren vermarktet, die es anbietet. Das tun im EKZ nur die Mieter der Räume, die das mit ihrem Corporate Design so oder so machen. Dem EKZ geht es darum, sich selbst als einzigartigen Ort zu etablieren und zu vermarkten, mit all seinen Shoppingerlebnissen und regelmäßigen Bespielungen, die deswegen stattfinden. Während ein Kaufhaus im städtischen Leben einer Stadt verankert ist, weil es sich aus diesem heraus entwickelt, ist das Einkaufszentrum ein implantierter Körper. Es schafft sich eine eigene Welt innerhalb seiner Mauern, kapselt sich ab und genügt sich selbst.

Diese Beobachtungen kann man in Stuttgart machen, wenn man sich in einem der Zentren in der Region befindet: ob es das EKZ in einem Vorort oder eines der 3 in der Innenstadt ist: sie alle bieten die gleiche Atmosphäre, die gleichen Erlebnisse, die gleichen Geschäfte. Es erstaunt einen jedes Mal, wie sehr ein EKZ seine Umgebung ausblenden kann, da helfen der Umgebung angepasste Fassaden genauso wenig wie eine Nutzungsmischung mit Wohnen und Büros, denn die Mischung findet nicht wirklich statt. Die einzelnen Nutzungen werden immer konsequent voneinander getrennt. Niemand möchte seinen Hauseingang inmitten eines EKZs suchen müssen.

Am Ende geht es um das Wesen des Einkaufszentrums: dieses ist eine andernorts bereits bestehende echte Stadtstruktur in seinem Inneren zu simulieren und sie in der Folge zu ersetzen. Dies hat in der europäischen Stadt fatale Folgen: wir verkünstlichen unser bereits vorhandenes städtisches Leben.

Das EKZ stellt uns also vor die essentielle Frage: wie wollen wir eigentlich leben? Wollen wir unser Leben in künstlich erschaffenen, überwachten Welten verbringen oder wollen wir nicht doch lieber in einem gewachsenen, offenen und für jeden zugänglichen Raum leben?

 

Die in diesem Artikel erläuterten Gedanken kann man ausführlich in einem sehr empfehlenswerten Buch nachrecherchieren: „Träumen Sie schön. Ästhtetischer Schein und gesellschaftliches Sein am Beispiel eines Shoppingcenters“ von Antje Böhme, AISTHESIS VERLAG, 2012.

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