Das begehbare Relief: Erfahrbare Geschichte als unmittelbare Reflexion im öffentlichen Raum

Wettbewerbsbeitrag für die Auseinandersetzung mit einem faschistischen Relief am Finanzamt Bozen

In Zusammenarbeit mit Simon Prossliner,Wien

Der Gerichtsplatz in Bozen aus der Vogelperspektive (Quelle: Google Earth) 

Südtirol pflegt einen verkrampften Zugang zu seiner jüngeren Geschichte. Zahlreiche Bauten aus der nahen Vergangenheit sind einerseits architektonische Zeitzeugen mit unleugbarem historischem Wert und zugleich politische Symbole, welche nach wie vor polemisieren. Vielfach fehlt der differenzierende Kontext oder aber er versteckt sich in unklaren Worten oder unscheinbaren Hinweistafeln; was wiederum politischer Provokation Tür und Tor öffnet.

Das Konzept der begehbaren Geschichte zielt darauf ab, Vergangenheit unmittelbar erfahrbar zu machen sowie ein neues Bewusstsein dafür zu schaffen. Auf diese Weise soll ehemals in Stein gemeißelten Machtansprüchen durch moderne Architektur, Design oder städtebauliche Maßnahmen ihr Reiz genommen, ihr architektonischer Wert jedoch erhalten werden.

Diese Neugestaltung erlaubt eine Einbindung politischer Symbole von gestern in ein Stadtbild von heute; im Kontext einer interaktiven Musealisierung im öffentlichen Raum ohne trockenen Beigeschmack. Darüber hinaus böte es sich an, mit Hilfe neuer Medien, wie beispielsweise dem Internet oder Smartphones die historischen Orte zu vernetzen und dem Bürger auch in Form eines digitalen Stadtplanes näher zu bringen. So werden die Grenzen zwischen Museum und öffentlichem Raum aufgehoben und Vergangenheit jederzeit und überall abrufbereit. Dazu müsste lediglich auf die bereits von Martha Verdorfer und Carla Giacomozzi ausgearbeiteten Themenrouten zurückgegriffen werden.

Für das Bozner Finanzamt mit seinem enormen Fries biete sich ebenjenes Konzept erfahrbarer Geschichte in Form eines „begehbaren Reliefs“ besonders an. Durch eine moderne Struktur wird der politische Bedeutungszusammenhang neu definiert und das einstige Symbol faschistischer Allmachtsphantasie in einen begehbaren Zeitzeugen verwandelt. Der Fries wird zu einem Freiluftmuseum im öffentlichen Raum. Durch die Rampen wird das Finanzamt, ehemals „Casa del Fascio“, mit seinem urbanen Umfeld verbunden und durch klare Linien in dieses integriert. Die Rampen erfüllen dabei einerseits die Funktion den weithin sichtbaren propagandistischen Affront zu kaschieren und somit neutral zu entschärfen, anderseits öffnen sie das Monument bei näherer Betrachtung einer kritischen Auseinandersetzung.


Durch den begrenzten Eingriff bleibt der Fries unangetastet und das Gebäude weitgehend in seinem aktuellen Zustand erhalten, so dass die Rampe als Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft wirkt und somit im Geiste des 21. Jahrhunderts zur gemeinsamen Reflexion anregt.

Der Gerichtsplatz mit Finanznministerium (oben) und Gerichtsgebäude (unten), © Lorenz Brugger, Stadt-Raum-Text
Das Piffrader Relief: In der Mitte ist Benito Mussolini zu Pferd mit erhobener Hand dargestellt. Zwischen den Beinen des Pferdes steht: credere, obedire, combattere (glauben, gehorchen, kämpfen)      © Lorenz Brugger, Stadt-Raum-Text
Das begehbare Relief bei Nacht. Fotomontage ©Lorenz Brugger, Stadt-Raum-Text & Simon Prossliner
Piktogramme zur Erläuterung des Konzepts

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